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Masaccio, die Perspektive und Europa
Ein Versuch über den Bilderrahmen
Leander Kaiser, 1988/2006
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Hier ist die Zukunft keine Vergangenheit nach der Vergangenheit: sondern das, was sich rechts im Bild öffnet – und wieder einbezogen ist in die Gegenwart des Bildes. Die im Kunstwerk manifestierte Zeit ist Negation der Negation: der Zirkularität mythischer Zeit, negiert durch die messianische Zeit, auf ein jenseitiges Ziel linearisierte, auf eine Richtung reduzierte Zeit; sie ist Wiederherstellung der zirkulären Einheit von Vergangenheit und Zukunft bei Eröffnung einer Zukunftsoffenheit, die dem Messianissmus entspringt, ohne das Diesseitige zur bloßen Spur aufs Jenseitige oder auf ein Endziel der Geschichte zu verengen. Gilt ihr die zirkuläre Einheit nicht mehr als Gesetz des Kosmos, sondern als Konstrukt des tätigen Subjekts und Intellekts, so gilt ihr die Transzendierung des Bestehenden in die Zukunft nicht mehr als ein Jenseitiges, sondern als Resultat und offene Perspektive des menschlichen Handelns.

Die Immanentisierung des Heilsgeschehens – im Sinne von Hegels Gegenwärtigwerden der Gegenwart als Ewigkeit – hat eine ungeheuer fortschrittliche Rolle gespielt; sie ist mit der Verheilsgeschichtlichung der Weltgeschichte nicht in eins zu setzen. Die Verheilsgeschichtlichung folgt nicht zwingend aus der Immanentisierung des Glaubens, wenn jene zwar auch die Schranken zwischen dem irdischen Jammertal und dem Jenseitigen negiert: eben weil die Menschen aufgehört hatten, das irdische Dasein als grundsätzlich zukunftsloses Jammertal zu sehen. In der religiösen Form der Immanentisierung, Verdiesseitigung zeigt sich und vollzieht sich ein Freiheitsgewinn, der sowohl von Reformation wie Gegenreformation wieder zunichte gemacht worden ist. Die Darstellung der Heilsgeschichte im Medium sinnlicher Klarheit, als Modell für jeden einzelnen Gläubigen im Bezugsystem der eigenen Lebenserfahrung, ist etwas ganz anderes als ein dogmatisches Handeln, das die Lebenserfahrung ja vielmehr negieren und die konkrete Individualität aufheben will und durch einen anderen Menschen und eine andere Weise das gesellschaftliche Sein ersetzen möchte.

Es gibt Stillestehen der Zeit, das achronische Auftauchen von Erinnerungen aus dem Sog der Zeit, das Aufblitzen eines Bildes aus der Vergangenheit: was ich rekonstruiere ist die Möglichkeit einer Renaissance der Renaissance, die von Heilsgeschichte frei, aber dem religiösen Bewusstsein in seiner höchsten Form gerecht wird.

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