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Masaccio, die Perspektive und Europa
Ein Versuch über den Bilderrahmen
Leander Kaiser, 1988/2006
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Hier prallen der abstrakte und der organische Raum des Gruppengeschehens ziemlich hart und prosaisch aufeinander. An dem Vergleich mit dieser möglicherweise für Masaccio wichtigen kompositorischen Anregung mit dem Zinsgroschen hätte sich die Bedeutung der Umwandlung einer im Kreis oder Ellipse aufgestellten Gruppe in ein kompositorisches Kalkül der Raumschließung, Blickführung, Handlungsfolge und -erklärung ermessen lassen.

Wenn auch gesagt wurde, dass das Renaissancebild im Unterschied zur zerstreuten Rezeption mittelalterlicher Artefakte konzentrierte Kontemplation einfordert – um eine eher kategorische als historische Unterscheidung Walter Benjamins anzuführen –, so steht doch das Auge in ihm nicht still, sondern wandert herum und ist durch diese Bewegung – und nicht im starren Gegenüberstehen – in dem Bild zuhause. Die Zentralperspektive und die zirkuläre Komposition stellen den Betrachter mitten hinein in den Bildraum, ins Geschehen, wogegen flächige Schichtungen oder planparallele Ebenen im Bildkasten und dem Schrägriss ähnliche Darstellungsformen den Betrachter entschieden außerhalb des Bildraums lassen – was bei der Ikone durchaus der religiösen Funktion entsprach. Die Renaissancemalerei ist begehbar. Sie ist das Gegenteil des starren Augenaufschlags, den die Andacht vor der Ikone erfordert, eine Starre, die das individuelle Sehen zu Gunsten einer Schau des Heiligen negiert. Sie vereint Konzentration und Zerstreuung. Dass die Darstellung von Bewegung als bewegter Körper, wandernder Blick, Zeitfolge der Narration der Renaissance und der ihr nachfolgenden Barockmalerei kein Anliegen war, dass sie das Auge nicht zu einer allerdings die Komplexität erschließenden Bewegung anregen, verführen, ja zwingen wollte, ist unmöglich darzutun.

Und doch ist es ununterbrochen getan worden. Die Perspektive enthält ja nebst ihrer metaphysischen symbolischen Bedeutung dies, das Bild vom Standpunkt des Betrachters abhängig zu machen, das Subjektive und das Objektive dialektisch zu einer Einheit zu verbinden, zur gegenseitigen Durchdringung zu bringen.

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