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Masaccio, die Perspektive und Europa Ein Versuch über den Bilderrahmen Leander Kaiser, 1988/2006 pages: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 | 25 | 26 | 27 | 28 | 29 | 30 | 31 | 32 | 33 | 34 | 35 | 36 | 37 | 38 | |
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Die Konstruktion des Raumes, seine Vermessung, seine abstrakte Kontinuität und Teilbarkeit als Quantität ist selbst schon ein gewaltiger intellektueller Fortschritt gegenüber der organischen Gliederung etwa nach Wegstrecken – erinnern wir uns an ältere europäische und chinesische Kartographie, und das perspektivische Bild ist ein starker Hebel zur Erziehung des Volkes in der neuen Weise anschaulichen Denkens (wenn die Moderne des 20. Jahrhunderts als verkommene Romantik, die sie ist, dies auch als ein Übel gegen den guten Geist des Mittelalters sehen möchte). Auf jeden Fall kann man die Perspektive nicht einmal als bloße illusionistische Rekonstruktion des spontanen Sehbilds abtun, um sie im nächsten Moment als Konstruktion eines beherrschbaren Raumes schuldig zu erklären an allen Übeln der Neuzeit. Ein bedeutender Kunsttheoretiker wie Panofsky gibt meines Erachtens Alberti zwar auch zu viel Ehre, aber er deutet die so verstandene Perspektive weit weniger banal: „So ein Gemälde mit einem Fenster zu vergleichen, bedeutet dem Künstler einen unmittelbaren Zugang zur optischen Wirklichkeit zu zuschreiben oder von ihm zu verlangen: eine notittia intuitiva ..., anschauende Erkenntnis.“ (Panofsky) Die Analogie von Bild und Fenster gewährleistet der Malerei für Panofsky eine Form der Weltaneignung durch visuelle Kontemplation, ein intellektuelles Handeln, das zwischen Theorie und Praxis steht und weder vom idealen Bild in der Seele des Künstlers noch von anderen Kunstgattungen und der Gelehrsamkeit vorgeprägt ist. |
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