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Masaccio, die Perspektive und Europa
Ein Versuch über den Bilderrahmen
Leander Kaiser, 1988/2006
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Das Ganze ist eine prächtige farbenfrohe dekorativ-verführerische Einheit, die Auffassung dieses Ganzen und der einzelnen Figuren und Handlungszusammenhänge fällt meist auseinander. Man kann entweder nur das Ganze oder nur das Detail sehen. Wieweit in diesem altdeutschen Fach, in dem das Auge immer wieder von der Verwunderung über das Eigenartige der Bildgestalten schnell zur Ermüdung kommt, ein Erscheinen des Bildes als ästhetischer Vorschein des Farbraums gegenüber dem narrativen Gehalt stattfindet, ist hier nicht das Thema. Doch sei auf das Dekorum, die Idee der Zusammensetzung aus Edelsteinen, die Beziehung zu den Glasfenstern hingewiesen: diese Bilder haben etwas von dem Himmelslicht und seiner Symbolisierung durch wertvolle Materialien, Gold, Silber und Edelsteine, deren Stofflichkeit symbolisiert wird in dem leuchtenden Zauber der bunten Farben.

Diese Angst, etwas übersehen zu haben, stellt sich bei Bildern wie dem Zinsgroschen und der Malerei, die auf ihm gefolgt ist, nicht ein. Der Betrachter kann sich auf die Blickführung, die Evokationsleitung der Malerei verlassen. Das hat damit zu tun, dass die Augenbewegung – auch wenn sie als eine gleichmäßig gleitende empfunden wird – in kleinen Rucken vor sich geht. Musste bei den Altdeutschen das Auge gewissermaßen etwas zurückspringen, um Übersehenes zwischen den kurzen Haltepunkten seiner Bewegung auszumachen, so kann es sich hier mühelos auf eine Ordnung der Abstände einlassen, die einen anstrengungslosen Überblick gewährleistet.

Dass zumindest das westliche Auge der nördlichen Hemisphäre dazu tendiert, von einem anfänglichen Zentrum, in dem die Aufmerksamkeit erregt wird, in einer elliptischen Bahn nach links, dann das Zentrum umkreisend nach rechts zu wandern, um von dort ins Zentrum zurückzukehren, hat die verschiedensten Erklärungen hervorgerufen (das Zentrum selbst ergibt sich aus der eingeschlagenen Bewegungsrichtung respektive aus der Hinwendung des Kopfes auf das, was Aufmerksamkeit erregt). Wenn wir uns selbst beim Sehen beobachten, können wir feststellen, dass die geschilderte Wanderungsbewegung des Auges die normale Weise ist, uns einen Überblick zu verschaffen. Sie ist vielleicht ein Anthropologikum. Die Richtung nach links und von dort nach rechts im Uhrzeigersinn könnte der Asymmetrie der Körperhälften, der Leserichtung oder gar der scheinbaren Sonnenbewegung geschuldet sein.

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