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Masaccio, die Perspektive und Europa
Ein Versuch über den Bilderrahmen
Leander Kaiser, 1988/2006
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Es handelt sich nicht um die Melancholie, obwohl ihre Symbolik ähnlich ist. Dieses dunkle Augenpaar blickt von außen ins Zentrum, aus dem Leeren ins Volle, es ist das Gesicht des vereinzelten Einzelnen, der sich abseits der Mitte weiß. Im Werk dreht sich die Sache um, denn hier setzt sich dieser Blick als der erblickte Mittelpunkt, aber die Möglichkeit, sich erneut ins Werk zu setzen bedingt erneutes Fortgehen zur Peripherie.

Es gibt keine Gewissheit, Zentrum zu sein außer der, gesehen zu werden von der Peripherie. Die neuzeitliche Kontemplation ist so in der Tat Tanz um eine Mitte, die leer ist , aber indem sie diese Bestimmung auf sich nimmt, ist sie Abstoßung sowohl der Fixierung des Sinns in einem vorgestellten geistigen Sein wie von der eigenen Positivität, unendlich Negativität, Gegenwart. Nahm bei der Ikone oder Götterstatue, die zur Heiligkeit oder Gottheit gebildete Menschengestalt den Mittelpunkt ein und war das andere Attribut, symbolisches Beiwerk, auch die Erzählung diente dem Lob des Heiligen so wie das Decorum rundherum, so bildet sich jetzt durch das Leerwerden der Mitte, des Focus als Mittelpunkt der konzentrierten Aufmerksamkeit die Möglichkeit, die im Raum frei schweifende Wahrnehmung mit der Totalität zu integrieren, durch die Verwandlung des die Aufmerksamkeit Leitenden aus einem Rand, einem Rahmen, in die eigentliche Bildwirklichkeit der zirkulären Komposition, des Kreises, dessen Mitte im Grunde leer bleiben muss sowohl in der Gruppierung des Dargestellten wie in der Gruppierung von Bildwirklichkeit und Betrachter. Damit nun, dass das Decorum, das Rundherum, der Perimeter, die die Abschweifung von der anzubetenden Hauptsache bisher im Rahmen gehalten hatte, nun von der einheitlichen Komposition des Ganzen übernommen worden ist, die den Blick in sich zu bannen weiß ohne noch des Rahmenden prinzipiell zu bedürfen, ist die eigene Erzählweise der Malerei, ihre eigene narrative Struktur in systematisch gegliederter Totalität der Anschauung erst zustande gekommen. Dies bedingt mit auch die Präzedenz des bescheiden gerahmten, fast nur abgegrenzten Frescobilds vor den Tafeln, in deren Struktur länger noch das rahmende Decorum, die kostbare Stofflichkeit als solche verwoben bleibt zuletzt noch im Ultramarinmantel der Madonna.

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