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Masaccio, die Perspektive und Europa
Ein Versuch über den Bilderrahmen
Leander Kaiser, 1988/2006
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Auch der neuzeitliche Künstler ist meist in der Provinz geboren und aus der Peripherie in die Metropolen gekommen: denn das Zentrum ist trotz der Vorstellung in ihm erst gesehen und anerkannt zu werden, sich selbst nicht sichtbar. Es erblickt sich nur in den Widerspiegelungen der Blicke und Bilder aus der Peripherie: der Spiegelsaal in Versailles, die sich selbst als Le Monde unendlich widerspiegelnde Hofgesellschaft, was aus der Einheit der Steigerung der gesellschaftlichen Bedeutung des Zentrums im Absolutismus und des Bedeutungsverlustes in weltanschaulicher Hinsicht erwächst.

Wir befinden uns hier am Vorabend der Entropie aller mythischen und religiösen Gehalte. Das Zentrum stellt auf sich zurück geworfen nur mehr sich selbst dar. Sein Focus ist der absolute König, von keinem Bild keiner Anschauung konkurriert; und nur diese Fokussierung verhindert die Auflösung der verschiedenen Perspektivierungen in pure Gruppendynamik und der ganzen Gesellschaft in mehr oder weniger ziellose Mitspieler. Im König ist zugleich der Staat, die reale Sphäre des Politischen, das Außerhalb dieses Zentrums vorhanden. Das Auseinander der Gesellschaft wird im absoluten König zu einer Projektion, deren Strahlen durch ihn hindurch ins Auseinander der staatlichen Machtsphäre verlaufen.

In der Moderne des 20. Jahrhunderts, speziell nach dem 2. Weltkrieg und noch mehr nach 1970 werden die Kunstwerke zum Substrat willkürlicher Fokussierungen; die Einheit der Anschauung zerfällt, und genauso scheint die Einheit der Person, die dem Werk gegenübersteht, zerfallen. Vollzieht der Betrachter eines Kunstwerks wohlwollend die verschiedenen Perspektivierungen, so wird er gewissermaßen zum Mitspieler der Gruppendynamik des Kunstwerks, ohne sich zugleich das Ganze als Komplexität in der Simultanität gegenüberstellen zu können. Das heißt, das Kunstwerk verliert die intellektuelle Bedeutung, die es für die frühe Neuzeit besessen hatte.

Wohl, dass die Erfahrung des Glaubens, die Verzweiflung über Gottes Walten in der Welt, Neid und Neugier, bloße Schaulust die Menschen früher zu den Bildern in der Kirche führte.

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