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Masaccio, die Perspektive und Europa
Ein Versuch über den Bilderrahmen
Leander Kaiser, 1988/2006
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Diese Situation, die der Fensteranalogie Albertis gleichkommt, wird man in der Renaissance-Malerei außer bei reinen Architekturstücken und Dekorationsmalereien nicht antreffen. Albertis Fenster befindet sich in aller Regel hinter den dargestellten Figuren und es erfüllt so eher die Funktion, den Innenraum, in dem zum Beispiel die Madonna ist, eben als einen Innenraum und zugleich als vorgestellte Fortsetzung des realen Raumes, in dem sich der Betrachter befindet, zu akzentuieren. Es ist leicht zu zeigen, dass dies nicht nur für die Werke intimer Devotion gilt, sondern auch für die monumentale Wand- und Tafelmalerei. Die Renaissance erstrebt eben nicht die Entrückung ihrer Gehalte ins Jenseitige und Irreale eines körperlosen, nicht begehbaren und nicht tastbaren Illusionsraumes, sondern die sinnliche Verdiesseitigung der christlichen Weltanschauungsweise. Dass sich nun in der Darstellung dieser dem Betrachter sehr viel näheren Figuren und Räume sehr viel mehr Abweichungen vom Schema der perspektivischen Konstruktion finden als in dem, was man aus der Entfernung durch ein Fenster erblickt, ist oft genug bemerkt worden, doch ohne theoretische Konsequenz geblieben, weil dem mittelmäßigen Theoretiker Alberti offenbar mehr geglaubt wurde als den größten Malern der Renaissance.

Eine kleine Blütenlese. Karlheinz Lüdeking behauptet, dass die „Konzeption des Bildes, die in der Renaissance (vor allem durch Alberti) kanonisiert wurde, ... die europäische Malerei bekanntlich bis ins 19. Jahrhundert“ beherrscht hat. (Was ist ein Bild, S. 351). Heinz Jatho meint, dass die Perspektive „das Modell eines mechanischen, unbewegten Sehens auf (stellt)“ und zitiert Merleau-Ponty, für den sie „die Erfindung einer beherrschten Welt (ist), die man in einer momentanen Synthese ganz und gar besitzt.“ Wenn Ernst Gombrich solchem Verständnis der Raumdarstellung in der Renaissance-Malerei auch noch ein „Augenzeugenprinzip“ hinzugefügt, macht er nolens volens die Perspektive zur Vorgeschichte der Fotografie. In dieselbe Richtung geht auch Gottfried Boehm: „Die perspektivische Rationalisierung des Bildes war eine folgenreiche und faszinierende Leistung. Sie beherrscht unser Alltagssehen und die banalen Reproduktionsmedien weitgehend. Die Kunst der Moderne versuchte sie in angestrengter und konsequenter Arbeit zu unterminieren.“ So wird denn die Perspektive geradezu zum Stigma gemeiner Volkswahrnehmung, der die moderne Kunst des 20. Jahrhunderts mit subversivem Elan gegenübertritt.

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