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Masaccio, die Perspektive und Europa
Ein Versuch über den Bilderrahmen
Leander Kaiser, 1988/2006
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Das Scheinen wird im Ernst mit der technisch-ästhetischen Kontemplation zusammengebracht zum Medium neuer Erkenntnis – die Philosophie wird somit erstmals aufgehoben und verliert ihre im Grunde theologische Wahrheitsmacht gegenüber dem Schein. Sie erweist sich dem Bild gegenüber als an der Komplexität gescheitert, als Abkömmling der Kosmologie, als Spiritist, für den das Sinnlich-Visuelle nur ein Durchhaus ist. Die Renaissancemalerei proklamiert also die Gegenwart.

4. Das Renaissancebild als Organisation des Sehens

Der Unterschied zwischen der Raumauffassung in den Bildern der italienischen Frührenaissance und der Raumauffassung vieler etwa zeitgleicher Bilder deutschen und niederländischen Ursprungs ist oft erörtert worden. Man schreibt diesen Bildern eine puzzleartige, flächige Gestaltungsweise zu, bei der es dem Maler – trotz der ebenfalls vorhandenen, in die Tiefe führenden Raumbühne – darum gegangen ist, seine Figuren in der Fläche unterzubringen und nicht darum, sie im Raum zu disponieren. Charakteristisch scheint mir die Füllung der Räume zwischen Haupt- und Vordergrundfiguren mit Nebenfiguren, die dem Betrachter oft sogar direkt zugewandt sind. Wogegen diese Zwischenräume beim Zinsgroschen zwar auch nicht leer sind, aber in der Tiefe des Bildraumes zurückgehen ohne ein eigenes Interesse zu beanspruchen, das über die Wahrnehmung der kontinuierlichen Räumlichkeit in Landschaft und Architektur hinausgeht.

Nun ist es weder möglich, diese – nennen wir sie: altdeutschen – Bilder auf einen Blick noch in einer kontinuierlichen Sehbewegung zu erfassen. Sie ähneln einem vollem Kleiderkasten, aus dem sich dies und jenes optisch nach vorne drängt, und zugleich will anderes gleich daneben auch zur Aufmerksamkeit kommen; das Gefühl einer nicht überschaubaren Fülle, ein Nebeneinander von unvereinbaren Fokussierungen (wie in einer Menschenmenge), einer Fülle, in der das Auge jedenfalls nicht gleiten, sondern mit Anstrengung suchen muss, nichts zu übersehen; ein Zick-Zack von Blicken, die doch nicht das Ganze erfassen.

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