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Masaccio, die Perspektive und Europa
Ein Versuch über den Bilderrahmen
Leander Kaiser, 1988/2006
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Der Fortschritt besteht darin, dass die Bildsprache nicht bloß ausufert wie etwa bei den Futuristen, sondern dass das Bild sich selbst – ohne im Mittelpunkt eines architektonischen Dekorationsprogramm zu stehen – als selbständiger Gegenstand im Raum definieren und den Betrachter zum Bestandteil des Bildraums machen kann. Yves Klein will, dass die Versenkung des Blickes in den Bildraum umschlägt in die Selbstversenkung des schauenden Subjekts, dass dadurch eine Erfahrung des Absoluten, des Eins, das alle Vielheit sowohl in sich schließt wie damit zugleich ausschließt, macht. So gedacht ist das Absolute die Nacht, in der alle Kühe schwarz sind , und alter philosophischer Jacoby. Und künstlerisch ist in solcher Verkümmerung Malevitsch längst zuvorgekommen.

Gerade das perspektivische Bild muss als eine doppelte Projektion gedacht werden, als eine Projektionsfläche, auf der sich sowohl die vom Betrachter als die vom Brennpunkt ausgehenden Sehstrahlen treffen. Aus dem Fokus ist es immer schon Projektion in den Raum des Betrachters. Im Brennpunkt muss eine Art projizierendes Auge angenommen werden, dessen Emissionen gleichermaßen geometrisch wie elektromagnetisch sind. Das Renaissancebild ist ein auf den Betrachter hin geöffneter Lichtraum, wenigstens das hätte aus dem Fenstergleichnis Albertis genommen werden können. Es konstituiert sich so im Realraum nicht bloß als der zentrierte Abstand, in dem es ein Maximum an organisierter Sichtbarkeit gewährleistet, sondern als Projektion seines Lichts auf den Betrachter. Man könnte weiter zurückgehen und an das Himmelslicht denken, das die gotischen Glasfenster auf die Kirchenbesucher warfen. Aber ich will jetzt nicht bis Plotin zurückgehen, um über Abt Suger zurückzukehren.

Die zirkuläre Kompositionsweise findet viele Möglichkeiten, den Betrachter in den Kreis der Bilderzählung und in den Bildraum einzubeziehen; etwa in den Gruppenbildnissen von Franz Hals, deren schmale Raumbühne sich durch die Öffnung des Kreises zum Betrachter in den vor den Bildern befindlichen Realraum weitet. Dasselbe bereits in verschiedenen Varianten bei Tizian, besonders den Portraits. Oder der zylindrische Raum, der den Blick spiralig in die Höhe zieht, und den der Betrachter nach vorne mit seinem eigenen Körper schließt, der die Asúnta der Frari-Kirche in Venedig zum Modell für die Barockmalerei werden ließ.

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