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Masaccio, die Perspektive und Europa
Ein Versuch über den Bilderrahmen
Leander Kaiser, 1988/2006
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Damit nun ist jedes einzelne Bewusstsein welthaft gesetzt, in seiner Weltoffenheit, in seiner Vermitteltheit durch das Andere, als eine Perspektive auf die Welt, die durch die Perspektiven des Anderen und der Anderen vermittelt ist: denn es ist nicht ein Subjekt, sondern viele Individuen, die in der Vielheit ihrer Perspektiven unhintergehbar sind. Von der Moderne hat die pure Entgegensetzung von Objekt und Subjekt rein gar nichts begriffen.

Genauer betrachtet ist der Blick der Moderne der Blick aus der Peripherie in die Mitte. Das Individuum ist nicht wie in den urwüchsigen Gemeinwesen Teil einer tradierten Lebens, sondern muss sich seine Welthaftigkeit zum großen Teil erst erarbeiten, sie ins Werk setzen.

Wir sehen auf den Bildern der Renaissance übrigens genau diesen peripheren Betrachter, den Gombrich als den Augenzeugen missdeutet hat. Er zeugt nicht und er will uns auch nicht noch mehr von der Plausibilität des Dargestellten überzeugen (unfruchtbarerweise, wie Walter Benjamin gesagt hat), sondern schaut in den Mittelpunkt des Geschehens oder auf den Betrachter, befindet sich also jeweils im Randbereich des eigentlichen Geschehens.

Die neuzeitlichen Kontemplation, die zwischen Theorie und Praxis steht – und nicht als geistige Wesensschau über beiden, steht solchermaßen zwischen dem Leben des Geistes und dem Lebens des Lebens. Natürlich hat sie praktische Grundlagen im Handwerk und vollzieht sich zum Teil auch im Werkstattbetrieb, aber im Prinzip steht sie außerhalb der Teilnahme am einen wie am anderen. Ihre Grundfigur ist die Einsamkeit, ein Augenpaar das nicht mehr ankommt, weder im Alltäglichen noch in den höheren Sphären gelehrter und religiöser Gemeinschaft. Dieser Blick trägt einen Anspruch der Menschwerdung, ohne sich dessen ganz bewusst zu sein, und ist voll Trauer dessen, der noch nicht weiß oder sein Wissen nicht teilen kann.

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