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Das Goldene und das Dunkle
Ein Versuch über den Bilderrahmen
aus: Leander Kaiser, Das Goldene und das Dunkle, 1988
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Wie die Inszenierung des Bildes als Lichtereignis eine stärkere Determination der Bildwirkung durch die Präsentationsform als bei normaler Raumbeleuchtung zur Folge hat, so führt auch die rahmenlose Zurschaustellung des Bildes vor der scheinbar neutralen weißen Galeriewand zu einer das Bild dominierenden Verselbständigung des Kontexts. Das einheitlich weiße Passepartout der Galeriewände hat den Vorteil, daß wechselnde Ausstellungen ohne umständliche farbige Anpassungen untergebracht werden können, und daß es wenig Licht schluckt. Der weiße Hintergrund gibt den Bildern eine starke optische Präsenz, die jedoch leicht ins Plakative umschlägt: die Wahrnehmung der stärksten Form- und Farbkontraste wird unterstützt, während differenzierte Übergänge und Abstufungen leichter übersehen werden. Das berührt die Welthaftigkeit des Bildes in einem wesentlichen Punkt, nämlich der konkreten Dichte der Gestaltung, die durch die Arbeit an den Übergängen erreicht wird. In dieselbe Richtung wirkt, daß die durchgängig weiße Wand hinter dem Bild den Raum für die Vorstellung der im Bild dargestellten räumlichen Tiefe wegnimmt: das Bild erscheint nicht als Raum im Raum, sondern als Fläche vor einer Fläche. Bei vielen modernen Bildern mag dieser Effekt erwünscht sein, bei anderen ist er abträglich, und alte Bilder sind hier generell deplaziert.

Vor allem wirkt die einheitlich weiße Wand der Galerie als ein Rahmen, in dem alle Bilder sind, mit der Konsequenz, daß ein Bezugssystem zwischen den Bildern hergestellt wird, das es dem Betrachter erschwert, sich auf das Bezugssystem des einzelnen Bildes einzulassen. Je mehr sich der reale Galerieraum dem Ideal des „weißen Kubus“ nähert, in dem nichts ist außer den Bildern und leeren weißen Flächen, desto mehr ist die Ausstellung insgesamt und nicht das einzelne Bild Gegenstand der Rezeption. Da jede Abschweifung ausgeschaltet wird, führt die unvermeidliche Abschweifung des Blicks in die Umgebung des Bildes nicht mehr zu diesem zurück, sondern unmittelbar zum nächsten Bild usw. Wenn die Hängung außerdem bestimmte Bezüge zwischen Bildern und Bildergruppen herstellen will, wird der Eindruck, daß das Bild als solches gar nicht Gegenstand der Rezeption sein soll, noch verstärkt.

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