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Das Goldene und das Dunkle Ein Versuch über den Bilderrahmen aus: Leander Kaiser, Das Goldene und das Dunkle, 1988 pages: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 | 25 | 26 | 27 | 28 | 29 | 30 | 31 | 32 | 33 | 34 | 35 | 36 | 37 | 38 | 39 | 40 | 41 | 42 | 43 | 44 | 45 | |
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Der Rahmen akzentuiert hier noch in erster Linie den Kultwert der Bilder und das Verehrungsbedürfnis, das sich in der Kostbarkeit der verwandten Materialien und im sichtbaren Arbeitsaufwand objektiviert. Das stoffliche Medium, in dem sich die höchste Verehrung ausdrückt, ist Gold. Und es ist vor allem der strahlende Glanz des Goldes, der Bild und Rahmen zu einer einheitlichen optischen Erscheinung verschmilzt. Die Emanzipation des Tafelbilds vom Rahmen setzt die Emanzipation der Malerei vom Goldgrund voraus. Die Verwendung des Goldes wird dadurch schließlich reduziert auf den Rahmen. IN DER VERGOLDUNG von Bild und Rahmen und erst recht im massiven Goldschmuck von Tabernakeln, Reliquienschreinen und wundertätigen Heiligenbildern, steckt ein doppelter Fetischismus: der Fetischismus der Bilder- und Reliquienverehrung und der Goldfetisch selbst. Der Glaube, daß den Knochen eines Heiligen eine wundertätige Kraft innewohne – der man habhaft werden kann durch den Besitz der Knochen -, oder daß das Bild einer Heiligen als solches Segen bringen könne, ist zwar von der Kirche im Westen offiziell immer abgelehnt worden; aber „im Leben“ hielt man es mit der Ostkirche, die diesen Fetischismus nach dem Bilderstreit durch die Lehre, wonach die Verehrung der Abbilder auf ihre im Himmel befindlichen Urbilder übergehe, in der Theorie abgeschafft und in der Praxis beglaubigt hatte. Die im Rahmen oder Schrein versammelten Schätze stellen im Grunde Opfergaben dar, die dem „heiligen Bild“ oder der Reliquie dargebracht wurden, um die Verfügung über deren Wundertätigkeit und Segenswirkung zu erlangen. Mit dem materiellen Wert der Opfer steigt das Ausmaß der vom Gnadenbild oder der Reliquie zu erwartenden Hilfe. Die wundertätigen Bilder, die angebetet und angefleht, gestreichelt und geküsst, beweihräuchert und geölt wurden, waren (und sind) mit Gold, Silber und Edelsteinen geradezu gepanzert. Das stofflich schlechthin Wertvolle und das Heilige gehen eine Wechselbeziehung ein, in welcher Ursache und Wirkung der Verehrung nicht mehr so recht zu unterscheiden sind. Wie der Stofflichkeit einer Reliquie oder eines heiligen Bildes eine segenbringende Kraft innewohnt, so erscheint es natur- und gottgegebene Eigenschaft des Goldes, Reichtum schlechthin, die potentielle Verfügung über alle Güter der Welt zu repräsentieren. |
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