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Das Goldene und das Dunkle
Ein Versuch über den Bilderrahmen
aus: Leander Kaiser, Das Goldene und das Dunkle, 1988
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Der Rahmen des Tafelbilds ist so gesehen ein selbständig gewordenes Relikt der jungsteinzeitlichen Ornamentik. Seine Ornamentik bildet nicht mehr die künstlich verdoppelte Oberfläche eines Körpers mit einem davon unterschiedenen dunklen Inneren, das von der Außenwelt getrennt gehalten werden muß. Ein Teil der Oberfläche ist selbst zu diesem – nun aber offenbaren – Inneren geworden und hat das Ornament an den Rand gedrängt. Wie im rahmenden Ornament eine Erinnerung an die magisch-determinierende Macht, Innen und Außen zu scheiden, fortlebt, so behält das gerahmte Bild etwas vom Charakter eines Inneren, in dessen Dunkel wir hineinsehen, um zu erkennen. Die Vasenmalerei, die griechische Plastik und das Drama geben die eindeutigste und zugleich vieldeutigste Antwort auf die Frage, was in diesem Dunkel ist: es ist immer der Mensch, sein Werk und sein Schicksal. Das menschliche Leben, seine Leidenschaften und sein Verhängnis, ist zum Thema geworden, weil es nicht mehr im selbstverständlichen Einklang mit dem zyklischen Verlauf des Gemeinschaftslebens steht. Es ist ein Bewusstsein, daß der Mensch nicht in einer vorgegebenen Ordnung lebt, sondern durch eigene Tat die Verhältnisse reguliert. Doch die Konsequenzen dieses Tuns sind unabwägbar, vieldeutig und dunkel.

Die Welthaftigkeit des gemalten Kunstwerks ereignet sich innerhalb des Ornaments und steht dadurch einerseits im Zentrum der menschlichen Eigenwelt, die von der Naturumgebung geschieden ist; deren Abgeschlossenheit und regelhafte Sicherheit sie andrerseits geistig durchbricht. Das Ornament des Rahmens öffnet in der ummauerten Welt der Sicherheit und des Privaten einen Durchbruch in eine weniger beengte, nicht privatisierte Welt; und es bannt deren potentielle Bedrohlichkeit zugleich in den Bereich gefahrloser häuslicher Erfahrung. Durch den ornamentalen Rand ist die Welt des Bildes von vornherein domestiziert – und gleichzeitig als Blick in eine Außenwelt gesetzt, die die Sphäre des Häuslichen und Privaten erweitert und übersteigt.

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