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Das Goldene und das Dunkle
Ein Versuch über den Bilderrahmen
aus: Leander Kaiser, Das Goldene und das Dunkle, 1988
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Im Grunde ist das bloß eine Übersteigerung des alltäglichen Denkens und Verhaltens, dessen normale Voraussetzung die Reduktion der Komplexität in Richtung auf eine Abfolge von Entscheidungsalternativen ist, die im zeitlichen Nacheinander durchlaufen werden können.

Die Prämisse, die der Rahmen für das Verhalten zu dem in ihm Enthaltenen gibt, kann in einer geforderten Vermeidung, einem Verbot, einer ausgeschlossenen Möglichkeit bestehen; oder jeder einzelnen Mitteilung, jeder Handlung, jedem Element der Darstellung als Deutung innewohnen. Im Spiel, bei den spielerischen Tötungshandlungen, unterläßt es ein Kind nicht deswegen, ein anderes wirklich zu töten, „weil es ein Spiel ist“ und im Spiel zu töten verboten ist, sondern das andere Kind wird wirklich getötet, aber nur im Spiel. Ernster Streit kann allerdings um die Spielregeln entstehen. Ebensowenig muß aus der Prämisse, daß das Gerahmte ein Kunstwerk ist, der Schluß gezogen werden, daß der gemalte Baum kein wirklicher Baum ist, und daß der Maler lügt, wenn er ihn so wie einen wirklichen Baum darstellt. Es folgert genauso, daß der Baum im Kunstwerk wirklich ist und nicht anderswo. Bei einem Bild fixiert die „rahmende Prämisse“ nicht nur die Bezogenheit aller Teile auf das Ganze, sondern auch, daß alle Elemente im Rahmen nur als künstlerische Evokationen in Bezug auf einen möglichen Betrachter wirklich sind – und daß daher im Bild Alles ohne Einschränkung möglich und wirklich sein kann.

Der Bilderrahmen eröffnet eine Sphäre weit höherer Komplexität, mit wesentlich weniger restriktiven Voraussetzungen als der Alltag, obwohl oder gerade unter der Voraussetzung, daß die Verhaltensmöglichkeiten des Betrachters auf die pure visuelle Empfänglichkeit und die stille Verarbeitung im Kopf beschränkt werden. Vielleicht sind bedeutende Werke der Malerei überhaupt die komplexesten anschaulich-sinnvollen Strukturen, die Menschen hervorgebracht haben. Größere Komplexität scheint nur auf Umwegen möglich, durch Zerlegung der simultanen Vorstellung des Ganzen und seine stückweise Vornahme in der Zeit. Aber wenn diese Analyse nicht nach einer blinden Regel erfolgen soll, erst recht, wenn neue Regeln erst gefunden werden müssen, bedarf es der komplexen Vorstellung des Ganzen.

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