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Das Goldene und das Dunkle
Ein Versuch über den Bilderrahmen
aus: Leander Kaiser, Das Goldene und das Dunkle, 1988
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Der Rahmen schafft so eine räumliche Sphäre, in der Bild und Betrachter miteinander allein und von der Umgebung abgeschirmt sind. Der Betrachter wird – mit Adorno zu sprechen – angewiesen, sich der Immanenz des Kunstwerks zu überantworten und den künstlerischen Gestaltungsprozeß nachzuvollziehen.

Die kollektiv-zerstreute Rezeption des Kunstwerks im Rahmen eines gesellschaftlichen Ereignisses (kultischer, politischer oder spektakulärer Art) impliziert die Gleichzeitigkeit vieler Betrachtungsakte und die Gleichwertigkeit verschiedener Aspekte des Werks. Das neuzeitliche Tafelbild schließt diese Gleichwertigkeit wie jene Gleichzeitigkeit kollektiver Erfahrung im wesentlichen aus. Seine spezifische Öffentlichkeit besteht in einer Folge von ungleichzeitigen Betrachtungsakten, die als Begegnungen einer Subjektivität (des Kunstwerks) mit einer jeweils anderen Subjektivität gedeutet werden können.

Denn der Rezipient sieht nicht allein in das Bild hinein; er wird vielmehr zugleich aus dem Bild heraus angeblickt: wie wenn jemand durch ein Fenster ins Zimmer hereinschaut, oder wie wenn man auf der Straße den Blick aus einem Fenster erwidert. Bei vielen Portraits ist der Doppelsinn der Situation offenkundig. Bei erzählenden Malereien wird er durch einzelne Figuren, die aus dem Bild heraus den Betrachter anblicken und häufig Selbstportraits des Künstlers sind, explizit gemacht. Jedoch ist auch die Perspektive ein umgekehrter Sehkegel, in dessen Ursprung, dem Fluchtpunkt, ein sehendes Auge angenommen werden muß. Ein Blick, der des Betrachters oder der, der ihn aus dem Bild-Fenster trifft, kann dabei der herrschende sein; in der Renaissance treffen beide gleichberechtigt zusammen, so daß sich Bild und Betrachter im rezeptiven Nachvollzug gegenseitig ergänzen. Es ist eine Komplementarität von Bild und Betrachter, wie sie Baxandall am Beispiel Giovanni Bellinis beschreibt:

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