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Das Goldene und das Dunkle
Ein Versuch über den Bilderrahmen
aus: Leander Kaiser, Das Goldene und das Dunkle, 1988
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Durch die Glasmalereien scheint gewissermaßen die jenseitige Welt hindurch, die übersinnliche Wirklichkeit der Heilsgeschichte, und tritt mit dem einzelnen Gläubigen durch Lichtemanationen in Kontakt. Das farbige Licht gibt sich als reine Erscheinung, die nicht an einer bestimmten Stofflichkeit haftet, und dadurch wird es gleich dem Wort zu einer Botschaft, die sich direkt ins Innere ihres Empfängers projiziert. Das Licht ist hier das Medium der Erkenntnis. Dadurch wird die visuelle Wahrnehmung mit Bedeutung aufgeladen. Das gemalte Bild kann nun als solches zum Gegenstand eingehender Betrachtung und eines Nachdenkens werden, das sich nicht mehr bloß mit den dargestellten Personen, Geschichten, Gegenständen beschäftigt, sondern mit der spezifischen Aussage des Bildes.

Daß die Maloberfläche in der Spätgotik und Renaissance „ihre Körperlichkeit verliert, die sie in der frühmittelalterlichen Kunst besessen hatte“ (Panofsky), entspricht sowohl der Fensteranalogie wie der Tradition der Glasmalereien. Wie diese für das Licht wird die Oberfläche der Wand- und Tafelbilder auf den Raum durchscheinend, der auf sie projiziert ist.

PARALLEL DAZU BEKOMMT der Bilderrahmen strukturelle Eigenschaften des Fensterrahmens. In den Niederlanden und Deutschland wird der Rahmen direkt dem einfachen Fenstergesims mit der Rundung oder dem Spitzbogen oben und dem Wasserschlag oder der Lichtschräge unten nachgebildet. Aufwendigere Rahmungen orientieren sich am Maßwerk des gotischen Kirchenfensters. Der Querschnitt durch die Kirche, den das gotische Altartryptichon repräsentierte, wird nun zugleich als Blick durch drei Fenster in die drei Schiffe der Kirche gedeutet, was das Tryptichon zu einer kompletten Kirche in der Imagination und damit in seiner Bedeutung vom Aufstellungsort unabhängig macht. Bei den späteren Holländern und bei den Florentinern der Renaissance vertritt das im Rahmen oft dominierende Schwarz – eine bis dahin für die Fassung ganz unübliche Farbe – das Dunkel des Innenraums, aus dem der Blick ins Helle, Freie geht.

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