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Das Goldene und das Dunkle
Ein Versuch über den Bilderrahmen
aus: Leander Kaiser, Das Goldene und das Dunkle, 1988
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BEI EINEM BILD der Renaissancetradition hat jedes einzelne Element der Malerei (man könnte sagen: jede diskrete Größe) unmittelbare Bedeutung als Darstellung sinnlich-realer Wirklichkeit. Von jedem Quadratzentimeter Bildoberfläche läßt sich sagen, was er darstellt – und sei es nur bewegt Luft. Die Bildwelt erscheint unter diesem Gesichtspunkt aus lauter Details zusammengesetzt. Auch im Gesamt der Komposition, in den kontinuierlichen Größen von Hell und Dunkel, Nähe und Ferne, Bewegung und Stillstand, wird auf die Plausibilität eines potentiellen Realitätseindrucks hingearbeitet.

Leonardo schreibt: „Ihr Maler erkennt in der Spiegeloberfläche einen Lehrmeister, der das Helle und das Dunkel und die Verkürzung jedes Gegenstandes lehrt… Mache du, Maler, folglich Gemälde, die jenen der Spiegel gleichen.“ Daß diese Forderung – nach einem perfekten Illusionismus – nie, auch nicht von Leonardo selbst, erfüllt worden ist, liegt teils an ihrer technischen Undurchführbarkeit, teils an ihrer künstlerischen Einseitigkeit. Das illusionistische Missverständnis der „imitatio naturae“ tritt hauptsächlich in der Früh- und Spätzeit des neuzeitlichen Tafelbilds auf. Wir haben z.B. spätgotische Rahmen, die die Form eines Fensterrahmens inklusive Trompe l’oeil-Malerei der Oberflächenstruktur des Steins imitieren, und in die die Darstellung so hineinkomponiert ist, als würde Maria mit dem Jesuskind aus dem Fenster hinaus- oder durch es hereinschauen. Im Prado war früher den „Meninas“ des Velazquez gegenüber ein Konkavspiegel angebracht, durch den man in das Gemälde fast wie in einen wirklichen Raum blicken konnte. Oder man arrangierte ein Gemälde schlecht beleuchtet hinter Topfpflanzen, so daß der gemalte Christus wirklich über den Wassern daherzuschweben schien. Letzteres sind Inszenierungsideen des 19. Jahrhunderts, der Zeit der Riesenrundgemälde, Schaustellungen, die der Fotographie und dem Film direkt vorausgegangen sind und eigentlich schon in deren Geschichte gehören. Daß mit dergleichen echte Sinnestäuschungen beabsichtigt wurden, muß jedoch bezweifelt werden; es ging mehr um die Freude am „So wie“ und „Als ob“.

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