texte |
Das Goldene und das Dunkle Ein Versuch über den Bilderrahmen aus: Leander Kaiser, Das Goldene und das Dunkle, 1988 pages: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 | 25 | 26 | 27 | 28 | 29 | 30 | 31 | 32 | 33 | 34 | 35 | 36 | 37 | 38 | 39 | 40 | 41 | 42 | 43 | 44 | 45 | |
|||
Alberti schreibt: „Ich beschreibe ein Rechteck von beliebiger Größe, das ich mir als offenes Fenster vorstelle, durch das ich alles sehe, was darauf gemalt werden soll.“ Es ist ein Blick ins Freie, aus dem Inneren in ein Äußeres, dessen Form und Struktur noch nicht feststeht. „So ein Gemälde mit einem Fenster zu vergleichen, bedeutet, dem Künstler einen unmittelbaren Zugang zur optischen Wirklichkeit zuzuschreiben oder von ihm zu verlangen: eine notitia intuitiva…, anschauende Erkenntnis….“ (Panofsky) Das Fenster ermöglicht, am Leben auf der Straße in der Anschauung und in der Phantasie teilzunehmen, ohne das Zimmer zu verlassen. Das Äußere ist abgetrennt und doch zugleich mit dem Inneren – als ein Teil desselben vorhanden. Der Blick aus dem Fenster macht das Sehen zu einem theoretischen Sinn, der die Dinge durchdringt, ohne daß der Sehende handelnd eingreift. Die Analogie von Bild und Fenster gewährleistet der Malerei einen eigenen Zugriff auf die Wirklichkeit, eine eigene Form der Weltaneignung durch visuelle Kontemplation, die zwischen Theorie und Praxis steht und weder vom „idealen Bild in der Seele“ des Künstlers noch von anderen Kunstgattungen und der Gelehrsamkeit vorgeprägt ist. Wenn wir von einem Fenster soweit zurücktreten, daß wir das, was draußen ist, ohne Körper- und Augenbewegung gleichzeitig erfassen können, haben wir – nicht einen kontinuierlichen Raum – aber ein kontinuierliches Bild des Raumes vor uns, das mit Hilfe der Zentralperspektive rekonstruiert werden kann. Diese ist zwar nicht die erste und einzige Form malerischer Raumgestaltung, aber sie fordert als einzige die strikte Einheit des dargestellten konkreten Raums. Eine Einheit, die zerstört wird, wenn in ihm Geschehnisse, die chronologisch dann damit kein voller Ernst – wie bei den antiken Landschaften in der Vatikanischen Bibliothek, in denen jeweils verschiedene Episoden der Odyssee im selben Bildraum untergebracht sind. |
||||