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Eine ästhetische Religion? Schönberg und der moderne Irrationalismus Referat beim Symposion Schönberg und sein Gott im Arnold Schönberg Center Wien Leander Kaiser, Wien, Juni 2002 pages: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | |
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5. Das Überlegenheitsgefühl des Komponisten, das immer wieder aus Schönberg spricht, ist ohne die deutsche Tradition quasi religiöser Musikverehrung nicht ganz verständlich. Die Musik ist auch anderswo himmlisch und göttlich genannt worden, aber ein französischer Komponist hätte schwerlich so zu Malern und Schriftstellern sprechen können, wie es Schönberg im "Blauen Reiter" getan hat. Nirgendwo ist das Reden vom Geistigen mit einem solchen Antiintellektualismus verbunden gewesen wie im deutschen Irrationalismus dieser Jahrzehnte. Die deutsche Musikideologie war spätestens seit Wagner eine ästhetische Religion und ein religiöser Nationalismus. Wir haben schon gesagt, daß die romantische Innerlichkeit ihr adäquates Medium in der Musik als der unmittelbaren Botschaft des Geistes an den Geist gefunden zu haben glaubt. Hand in Hand damit geht eine Sicht des deutschen Wesens, dessen diferentia spezifika zu anderen Nationen in eben dieser Innerlichkeit bestehen soll. Die deutsche stellt sich schon so als von der äußerlichen Partikularität freie allgemeine Nation dar, somit als höchste Stufe der Menschheit. Die Nation wird also, natürlich aus historischen Gründen, die oft genug erörtert worden sind, nicht als durch Interessen und Institutionen vereinigt, auch nicht so sehr als sprachliche Kommunikationsgemeinschaft gedacht, sondern als eine die vielen Einzelnen innerlich stumm verbindende Allgemeinheit. Diese Gemeinsamkeit auf die Blutsgemeinschaft und Rassenzugehörigkeit zu gründen, ist dann kein großer Schritt. Darin war Wagner epochal. Die Musik nun, in der die stumme innere Gemeinsamkeit zum lauten Gemeinschaftserleben wird, überwindet die trennende Individuation und läßt jeden Einzelnen aus sich herausgehen in den Gleichklang der Gedanken und Gefühle und zum Erlebnis eines Wir kommen, das der nationalen und Blutsgemeinschaft religiöse Züge verleiht. Diese Darstellung ist natürlich notwendig verkürzt; sie stützt sich zum guten Teil auf die akuraten Untersuchungen Manfred Franks zum Verhältnis von Irrationalismus und Romantik. (17) |
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