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Eine ästhetische Religion? Schönberg und der moderne Irrationalismus Referat beim Symposion Schönberg und sein Gott im Arnold Schönberg Center Wien Leander Kaiser, Wien, Juni 2002 pages: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | |
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Ich bin überzeugt, daß künftige Generationen Schönbergs Oratorium als eine Art geistiger Durchbruchsschlacht empfinden werden, durch welche die ganze Front des Materialismus aufgerollt und für alle Zeiten vernichtet wurde. So lange man nämlich nicht an die Wiedergeburt glaubt, ist die Annahme einer gerechten Weltordnung eine Absurdität, ja schon das Streben nach ihr eine Vermessenheit, da ja die Tatsachen immer auf neue den vollendeten Triumph des Bösen zu beweisen scheinen. Aber dieser Beweis wird in dem Augenblick hinfällig, in dem eine neue Verkörperung der gleichen Seele Platz für die Erledigung unbeglichener Rechnungen schafft. Denn das ist das eherne Gesetz: Was du in dem einen Leben gesät hast, das wirst du in dem nächsten ernten. Der Osten nennt dies Karma und die "Jakobsleiter" ist eine Darstellung des Karmagesetzes an unzähligen Einzelfällen.(8)
Das Schlimme ist in der Tat, daß Schönberg der herzlosen Theodizee der Seelenwanderung Folge leistet; einer Theodizee, die nun zwar das gegenwärtige Leiden durch vergangene Bosheit letztendlich selbstverschuldet erklärt, aber den eigentlichen Skandal, die gleichzeitige Existenz des Bösen und die des allmächtigen guten und gerechten Gottes, nicht aus der Welt schaffen kann. Die gnostische Kosmologie – in der ein "böser Demiurg", ein von Gott abgefallener Gott, zum Schöpfer der bestehenden materiellen Welt wird, verschiebt das Problem, ohne es gedanklich zu lösen. (9) Die irrenden Seelen der Verstorbenen, die sich vor ihrer neuerlichen Wiedergeburt auf der "Jakobsleiter" begegnen, sind jedenfalls schon Auserwählte, die sich der bösen Materialität der Welt bereits teilweise entwunden haben, auf dem Weg zur Wiedervereinigung mit dem rein geistigen Gott. Das heißt Schönbergs Konzeption ist selbstverständlich gnostisch, er versteht die Seelen als aus dem Pleroma, der ursprünglichen Fülle Gottes in die Dunkelheit der Materie gefallene Lichtfunken, und sie ist ohne Zweifel elitär und antihumanistisch. Zugleich hält Schönberg daran fest, daß das Gebet allen Gläubigen, nicht nur Adepten und Meistern der Theosophie, den Weg zu Gott öffnet, ein Motiv, das an die jüdische Kabbalistik erinnert. Und Schönberg übernimmt auch nicht die Übersteigerung bei Balzac, wo sich Seraphita durch die Gewalt ihres Gebets direkt den Weg in den Himmel bahnt, was einer gnostischen Vorstellung von Selbstvergeistigung und Unsterblichkeit als Geistwesen noch näher käme. |
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