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Kandinsky, die Musik und Madame Blavatsky

Leander Kaiser, Wien 2001
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5.

Die Aussagen Kandinskys lassen oft verschiedene – esoterische und exoterische – Lesarten zu. Das "Große Reale" und das "Große Abstrakte" können z.B. aus dem Gnostizismus Kandinskys interpretiert werden; der Gegensatz ist aber häufig als Grundbegrifflichkeit der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts genommen worden. Eine Diskussion dieses Themas würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Kommen wir daher schließlich zu den "feineren Vibrationen", von denen im angekündigten Titel meines Referates die Rede ist.

Ein Moment, worin die Musik als paradigmatisch erfahren wird, ist ihre Fähigkeit, die Seele des Zuhörers unmittelbar in Bewegung, Schwingung zu versetzen. Die Musik hat von vornherein die Form der Innerlichkeit, der Mitteilung der Seele an die Seele, des Geistes an den Geist. Kandinsky spricht davon, daß die Malerei als "reine Kunst" es der Musik gleichtun und die "menschliche Seele" in "feinere Vibrationen" versetzen werde. Die "Verfeinerung der Seele" erklärt er zum Ziel der Kunst.18

Daß Formen als solche, ohne mimetischen Bezug, im Betrachter Seelenbewegungen auszulösen vermögen, ist schon eine Zeit vor Kandinsky von dem Münchner Architekten August Endell dargetan worden. Er versuchte geradezu, eine Art Klaviatur der Gefühle zu geben. Endell und etwas später Wilhelm Worringer nehmen an, daß der Betrachter durch bestimmte – nicht beliebige – abstrakte Formen in einen Zustand der Einfühlung versetzt werden könne, in dem er die den Formen sozusagen eingeschriebenen Gefühle des Künstlers nachzuvollziehen vermöge. Die Bestimmtheit der Form, die zum Effekt der Einfühlung führt, entspricht bei Kandinsky ungefähr dem "inneren Klang", das dadurch beim Rezipienten ausgelöste Empfinden der "seelischen Vibration".