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Kandinsky, die Musik und Madame Blavatsky

Leander Kaiser, Wien 2001

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Kandinskys theoretische Schriften und seine bildnerische Praxis vollenden einen Paradigmenwechsel, der sich seit der Frühromantik angebahnt hatte. Die Musik tritt als beispielhafte Kunstgattung – als die, worin sich die Kunst am reinsten und höchsten verwirklicht – sowohl an die Stelle des bei den alten Griechen verwirklichten und durch Raffael wiederverwirklichten Ideals des Schönen als auch an die Stelle der schönen Literatur, der Leitsterne der klassizistischen Periode. Nach dem berühmten Ausspruch des Simonides ist die "Malerei stumme Dichtkunst, und Dichtkunst ein sprechendes Bild."2 Die antike Auffassung der Wechselbeziehung von Wort und Bild, Narrativem und Mimetischem wird nun mit Anspruch auf Endgültigkeit durch die Analogie des Komponierens mit reinen Formen in Malerei und Musik ersetzt, wobei der Musik die Rolle des Vorbilds zukommt. Daß der Maler ganz genauso mit Farben und Linien arbeite wie der Komponist mit Tönen und Intervallen, hat schon wenige Jahrzehnte nach dem Erscheinen von "Über das Geistige in der Kunst" den Status eines Volksvorurteils der gebildeten Welt erlangt.3 Als Künstler, Kunsthistoriker und Philosoph gilt mein Interesse der Vorgeschichte der abstrakten Malerei, der Problematik ihres Übergangs aus dem 19. Jahrhundert, den historischen und mehr noch intellektuellen Schranken, die die Entwicklung der abstrakten Malerei geprägt haben.

2.

Die Versuche, mit der Malerei "musikalisch" zu werden, sind schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreich und erreichen ihren Höhepunkt in den ersten Dezennien des vergangenen Jahrhunderts. Die "himmlische Musik" wird in vielfältiger Weise Mittelpunkt der malerischen Kunstübung. Das geht von Schilderungen biedermeierlicher Hauskonzerte zu den beliebten Komponistenportraits, von der malerischen Wiedergabe von Szenen aus musikalischen Bühnenwerken zu den Violinen und Gitarren in den Stilleben der Kubisten, von der Übertragung musikalischer Kompositionsprinzipien in die Malerei zur Betitelung von Gemälden als Symphonien, Fugen, Sonaten, Improvisationen usf., von Versuchen, den musikalischen Gehalt quasi pantomimisch in menschliche Bewegungen und Gesten zu übersetzen zu den Form- und Farbsequenzen, die musikalisches Erleben synästhetisch über die visuelle Wahrnehmung wachrufen sollten.4