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Kandinsky, die Musik und Madame Blavatsky

Leander Kaiser, Wien 2001
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3.

Fast hundert Jahre vor Kandinsky erklärt Johann Friedrich Herbart die Musik zu einzigen "Kunstlehre", die der kantischen Lehre vom "interesselosen Wohlgefallen" adäquat sei:

"Die Ästhetik als Wissenschaft von dem, was als schön gefällt, und zwar ohne Grund, willenlos, hat dies zuerst von dem Begehrten, das ein Unvollendetes, und dem Angenehmen, das sich nur auf einen subjektiven Zustand bezieht, zu sondern und dann in seine einfachsten Elemente zu zerlegen, d.h. da nur Verhältnisse gefallen, die einfachsten Verhältnisse aufzustellen, die ein begierdeloses Wohlgefallen hervorrufen. Nur in einer Anwendung der Ästhetik oder einer Kunstlehre ist dies geschehen, in der Musik."10

Auch für Kandinsky hat das Schöne nichts mit der Darstellung der außerkünstlerischen Gegenstände zu tun, sondern mit den der jeweiligen Kunstgattung eigenen Verhältnissen des künstlerischen Materials (Tönen, Farben, Formen). Man muß die elementarsten dieser Verhältnisse aufsuchen, um die Gesetze des Schönen aufzudecken. Schließlich ist das Schöne das von Begierde und Interesse Reine und Freie, das "Geistige" – im Gegensatz zum Materialismus des Alltagslebens. Das Streben "zum Nichtnaturellen, Abstrakten und zu innerer Natur" kann "die reichste Lehre aus der Musik" ziehen, die – wieder Kandinsky – "schon einige Jahrhunderte die Kunst (ist), die ihre Mittel nicht zum Darstellen der Erscheinungen der Natur brauchte, sondern als Ausdrucksmittel des seelischen Lebens des Künstlers und zum Schaffen eines eigenartigen Lebens der musikalischen Töne."11 Die "reine Malerei", rein, da sie mit "reinen Formen" ohne mimetischen Bezug arbeitet, nennt Kandinsky in Anlehnung an die Musik zeitweise "kompositionelle Malerei" und sieht in ihr "die Kennzeichen des Erreichens der höheren Stufe der reinen Kunst, in der die Überreste des praktischen Wunsches vollkommen abgesondert werden können, die in rein künstlerischer Sprache von Geist zu Geist reden kann und die ein Reich malerischgeistiger Wesen (Subjekte) ist."12