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Irrealität - Eine Realitätsebene im Handeln und in der Kunst Referat im Rahmen der Innsbrucker Gespräche über Ästhetik 2011 Leander Kaiser, Wien, September / Oktober 2011 pages: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | |
Neo Rauch, Kommen wir zum Nächsten, 2010 |
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Jede dieser Zeit- und Handlungsebenen wird sogleich wieder durch eine andere gebrochen, der Sinn des einen Tuns und Verhaltens geht in dem anderen nicht auf: ein Theater der Nachstellung von Haltungen, Posen und Handlungen, deren Zweck verloren oder vergessen ist. Die Figuren treiben sich im Bewusstlosen. Dem Betrachter wiederum, dem auferlegt, sich ein Bild zu machen, Hypothesen zu formulieren zum Verständnis des dargestellten Getriebes, geschieht immer wieder die Haltlosigkeit seiner Annahmen. Es ist irrealisierende Mimesis irrealer Praxis. Die Äußerlichkeit naturgetreuen Abbildens ist wiedergekehrt aus dem 19. Jahrhundert, der Historienmalerei, aber ohne jeden Anspruch auf objektive Evidenz und Folgerichtigkeit. Die Evidenz geht auf die Seite dessen, was den handwerklich unbemittelten Zeitgenossen imponiert; ihre Brüchigkeit gleichzeitig entspricht den Ironieforderungen und dem Agnostizismus des heutigen Kunstbetriebs. Von daher stellt sich mir der große Erfolg Neo Rauchs nicht als Wiederkehr der Menschenmalerei dar, sondern als Akklamation seines Irrealismus. Neo Rauch ist in der früheren DDR aufgewachsen und als Künstler ausgebildet worden. Seine Malerei reflektiert zum einen Teil den Bruch, den die "Wiedervereinigung" oder "Annexion" der DDR durch die Deutsche Bundesrepublik im Leben der "Neuen Bundesländer" bewirkt hat. |
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