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Die Gegenwart der Perspektive Nachträgliches zum gleichnamigen Symposium 2009 im Rahmen der Innsbrucker Gespräche über Ästhetik Leander Kaiser, 2010 pages: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | |
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Die Thematisierung der Perspektive in der Kunst der letzten Jahrzehnte zeigt sich in verschiedenen Formen. Interpretiert man Totalität (vielleicht im Sinne des Kusaners) als Einheit von Sehen und Gesehenwerden, als Sehen des Sehens, so kann der Zerfall dieser Einheit zusammen mit ihrem Bedürfnis in eine Versuchsanordnung wie der Bruce Naumans aktualisiert werden (ein Gedanke, den ich Michael Glasmeier verdanke). Ebenfalls in Anschluss an Nikolaus von Kues ließe sich Andreas Gurskys Versuch, das absolute Sehen – sowohl des Ganzen wie gleichzeitig jeder Einzelheit – in digital bearbeiteten Fotografien zu demonstrieren, verstehen. Konstantin Kaiser hat geltend gemacht, dass bei Gursky keine empathische Wechselbeziehung, kein Blickwechsel zwischen Bild und Betrachter stattfindet; in unüberbrückbarer Distanz wird das Ganze zum Ornament der Masse. Die ornamentale Struktur suggeriert eine Einheit, der technische Overkill eine Plausibilität und die Monumentalität der Formate eine Bedeutung, die der kritischen Untersuchung nicht standhalten. (Konstantin Kaisers Referat ist auf meiner Website: www.leanderkaiser.com nachzulesen.) Wird die unerreichbare Totalität – das beginnt schon mit Velazquez – als eine Erscheinung interpretiert, die dich anschaut, indem sie dein Sehen zum Gegenstand macht (zur Bildwirklichkeit und zu dem in ihr Repräsentierten), so dass sich das Sehen deines Sehens dir als Bilderscheinung entgegenwirft, so haben wir es mit einer Kunst zu tun, die den Stolz ihres Vermögens der Realität entgegensetzt. Solche Kunst spricht keine Kritik an irgendwelchen Zuständen aus, doch sie beharrt auf sich als autonomer Sphäre eines überlegenen Blicks. Von dem aufgeklärten Eleaten Velazquez könnte eine Linie gezogen werden zu den modernen Anhängern des Parmenides (den Minimalisten), deren essentialistische Kunst allerdings die Konstitution des Bildes in der Beziehung von Sehen und Gesehenwerden nicht reflektieren kann. |
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