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Die Gegenwart der Perspektive
Nachträgliches zum gleichnamigen Symposium 2009 im Rahmen der Innsbrucker Gespräche über Ästhetik
Leander Kaiser, 2010
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Auf die Spitze getrieben hat dieses Vorgehen neuerdings Hans Belting in seinem Buch „Florenz und Bagdad“, in welchem er die Perspektive zur Bildtheorie der europäischen Malerei von der Renaissance bis zum 20. Jahrhundert erklärt hat. Wobei – noch dazu – die Perspektive als bildgebendes Verfahren im Grunde gleichgesetzt wird mit der camera obscura und der Fotographie. Eine ähnliche Auffassung vertritt übrigens banalo grande Ernst Gombrich*. Und mit der Fotografie scheint dann die perspektivische Raumdarstellung als Aufgabe der Malerei obsolet geworden zu sein.

Wogegen ich noch einen wichtigen Einwand vorbringen möchte. Das perspektivische Verfahren – die costruzione legitima des Filippo Brunelleschi – misst nicht einfach hinaus in den Raum, visiert die Gegenstände nicht von einem Punkt an oder sammelt die Lichtstrahlen in einer Linse, die ein Erscheinungsbild auf eine transparente Fläche oder eine lichtempfindliche Schicht wirft. Sie konstruiert den Raum als Bildraum, als einen jetzt gegebenen Teil des unendlichen, gleichförmigen, kontinuierlichen Raumes. Sie ist in einem die Rekonstruktion eines bestimmten Raumes und der in ihm befindlichen Volumina unter dem Aspekt des Gesehenwerdens von einem bestimmten Punkt aus, und sie ist zugleich das Modell eines Raumes, in das das Vorgestellte, die Körper und die Architekturen eingetragen werden können. Nicht umsonst ist sie von einem großen Architekten (Brunelleschi) erfunden und von einem anderen Architekten (Alberti) zuerst beschrieben worden. Die Extrapolation des Gegebenen durch ein lineares Gitterwerk geht einesteils auf die Stadtplanung, ich denke an Arnolfo di Cambios Masterplan für Florenz, andererseits auf die Kartographie zurück.
Die Perspektive lieferte den Malern zweierlei: ein Modell für die Organisation der Bildelemente im Bildraum und eine visuelle Vergegenwärtigung von hoher Plausibilität und verstandesmäßiger Nachvollziehbarkeit. Man sollte das nicht auf den Illusionismus herunterbringen, dessen Stunde erst später schlägt.

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