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Die Gegenwart der Perspektive
Nachträgliches zum gleichnamigen Symposium 2009 im Rahmen der Innsbrucker Gespräche über Ästhetik
Leander Kaiser, 2010
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1. 

Ich glaube, es gerät zum Nachteil der Erörterung der Bedeutung der Perspektive in der Kunst der Gegenwart, wenn die Perspektive, deren Konstruktion zuerst von Ser Filippo Brunelleschi entdeckt oder erfunden worden ist, etymologisch auf perspicere, durch-schauen, reduziert wird, wie es die Fenster-Analogie in Albertis Traktat nahelegt.*

Vielleicht ist mein Sinn für Unterschiede zu groß. Doch ist es etwas anderes, ob ich Ausschau halte und meine Umgebung überblicke (prospettiva) oder irgendwo durchschaue (perspiceo), ob ich also aus dem Fenster hinaus auf die Gasse schaue oder durch Albertis Fenster blicke und festhalte, was sich mir im Rahmen des Fensters zeigt. Wenn ich aus einem gewissen Abstand durch das Fenster blicke, bleibe ich im Zimmer, meiner camera oscura, schaue ich aus dem Fenster hinaus, so befinde ich mich bereits im Bereich zwischen meiner vita contemplativa und der vita activa auf der Straße. In das Bild, das sich mir bietet, bin ich, mein Körper, mein locus standi, einkomponiert, mein Blick wandert herum, bleibt nicht auf einen Focus und in einem bestimmten Abstand von dem Gesehenen fixiert. Ich denke hier an eine belebte Straße einer Stadt des 15. Jahrhunderts. Mehr noch: auch ich werde von der Gasse im Rahmen des Fensters gesehen, es findet ein Blickwechsel, vielleicht Grußwechsel, jedenfalls eine Kommunikation statt. Albertis Auffassung der Perspektive bleibt dagegen wesentlich kontemplativ, sie scheint den Wert der Perspektive am Abstand vom Leben auf der Straße, vom praktischen Leben, von Handarbeit und Handwerk zu messen. Die „Wissenschaft der Perspektive“ will die Kunst nobilitieren, indem sie ihr den gleichen Status einer Theorie, die mit sauberen Händen betrieben werden kann, verleihen will, wie sie Theologie, Rhetorik, Mathematik, Humaniora innehatten. Doch bei den großen Werken der Malerei steht der Betrachter selbst im Fenster des Bildes oder im Raum des Geschehens und blickt herum, ein Herumblicken, das allerdings wohlgeordnet ist zur Sichtbarkeit der Komplexität in der Simultaneität.

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