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Gespräch Michael Ley und Leander Kaiser

Wien, 2004
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ML: Wenn ich auf den Anfang des Gespräches zurückkommen darf, dann kann man – plakativ ausgedrückt – sagen, die moderne Kunst, die abstrakte Kunst, die Avantgardekunst, verführt die Menschen in die Hölle, in die Apokalypse, um über diese apokalyptische Weltvernichtung zum Heil zu kommen. In deinen Bildern interpretiere ich das so, dass du versuchst, die Menschen aus der Hölle, aus der Apokalypse herauszuführen, vielleicht zu einem neuen Humanismus.

LK: Je länger ich jetzt arbeite, desto weltbejahender ist meine Arbeit geworden. Gut, das entspricht in gewisser Hinsicht der normalen Entwicklung von Menschen, die draufkommen, dass ihnen nur eine gewisse Zeit auf Erden gegönnt ist, und die dann auch noch zu verneinen fällt härter, als wenn man jung ist und glaubt, dass man entweder unendlich viel vor sich hat oder das leicht hingeben kann, was einem noch nicht genug wert ist. Der Avantgardismus hat sich immer bewegt zwischen der Unverständlichkeit und dem Versprechen, eine höhere, absolute Einsicht zu vermitteln. Dagegen bewegt sich das Humane zwischen Verstehen und Nichtverstehen. Ja: es geht um die Rekonstruktion eines menschlichen Blicks auf den Menschen.

ML: Die Ausstellung, die jetzt in Graz stattfindet oder stattfinden wird, heißt „Die Erziehung der Gefühle“. Willst du die Menschen dazu bringen, dass sie mehr auf ihr Gefühl hören, auf ihre Sinne hören als auf Ideologien und abstrakte Werte?

LK: Education sentimentale – Liebeserziehung – ist ein Roman von Flaubert. Flaubert war sicher für den Gebrauch der eigenen Sinne und eine selbständige Herzensbildung und hatte für Lebensrezepte und dergleichen nur Spott übrig. Sicher hätte er sich auch über die Psychoanalyse lustig gemacht, der ich doch etwas Bewußtheit verdanke.
Es ist die Darstellung von Situationen, die zum Teil sehr schmerzhaft sind, wo es um den Erwerb, den krisenhaften Erwerb emotionaler Einstellungen und intellektueller Errungenschaften geht, und das wird als eine Situation, die verschiedene Ausgänge bietet, dargestellt. Es handelt sich auch um eine Anamnese eigener Verletzungen. Belehren über richtiges Fühlen möchte ich niemanden – wie manche Künstler, die wollen, dass die Leute jetzt richtig fühlen, wenn sie ihre Bilder sehen oder ihre Gesänge hören. Ich möchte die Grenzen der Individuation nicht aufheben.

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