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Ecce Homo - Menschwerdung und moderner Antihumanismus
Referat im Rahmen der Innsbrucker Gespräche über Ästhetik 2007
Leander Kaiser, Wien, Oktober 2007
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Daß die säkularen Gesellschaften die innerreligiösen Dispute nichts mehr angingen, ist eine Illusion, die spätestens durch die fundamentalistische Politisierung des Islam zerstört worden ist. Auch in Bezug auf das katholische Christentum genügt es nicht, die seit dem II. Vaticanum von der Kirche selbst anerkannte Trennung von Kirche und Staat, Theologie und Wissenschaft, sakraler und autonomer Kunst zu konstatieren. Wer wie ich aus dem säkulärem europäischen Humanismus kommt, ein Humanismus und Atheismus, der seine christlichen Grundlagen nicht mehr verleugnet, dem kann das ästhetische Menschenbild der Kirche nicht gleichgültig sein.

Die historische Erfahrung zeigt, dass es wohl einen christlichen Humanismus geben kann, aber ebensowohl einen christlichen Antihumanismus. Diese Entscheidung läßt sich in der Kunst an der jeweiligen Interpretation der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes im Menschensohn Jesus Christus, festmachen. Die Darstellbarkeit des Absoluten in Gestalt menschlicher Individualität ist vom byzantinischen Bilderstreit an über Jahrhunderte mit mehr oder weniger großen Einschränkungen von der katholischen und den orthodoxen Kirchen bejaht worden. Ein großer Teil der Kunst des 20. Jahrhunderts, zunächst im außerkirchlichen, dann auch im innerkirchlichen Bereich, hat dagegen die Darstellbarkeit des Absoluten, des Geistigen oder Spirituellen, nur in der Abstraktion von der konkreten Menschlichkeit gefunden. Es ist zu fragen, was dem Bild des Menschen und dem Bild Christi, somit auch dem Bild Gottes, geschehen ist, dass vielen Christen nicht-gegenständliche Kunstwerke als adäquate Vergegenständlichungen ihrer religiösen Bestrebungen erscheinen, besonders in Deutschland und Österreich.

In seinem Buch „Verlust der Menschlichkeit – Versuch über das 20. Jahrhundert“ arbeitet Alain Finkielkraut als einen zentralen Sachverhalt heraus, dass Menschen andere Menschen nicht mehr als ihresgleichen, sondern nur noch als mehr oder weniger brauchbares Werkzeug und Material oder als nutzlosen, möglichst rasch zu beseitigenden Abfall gesehen haben. Er bezieht sich dabei auf Carlo Levi und andere Berichte von Überlebenden der Vernichtungslager des nationalsozialistischen Staates.

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