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Phantasie über ein Bild von Leander Kaiser

Veronika Seyr, Moskau 2001
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Ich sitze in meiner Moskauer Dienstwohnung der „Kippfrau“ gegenüber. Das Gemälde hängt an der Ostwand des Salons, durch dessen Fensterfront ich die rötlichen Tuffsteine des Hotels Ukraina und die sonnenuntergangsbeschienen Ziegelmauern der Wohnhäuser am Ukrainskij Bulvar sehen kann. Dazwischen, jenseits der Moskwa, schließt der Turm des Parlamentsgebäudes den Horizont ab. Alle Gebäude stehen in Flammen, von der Westsonne in Brand gesetzt, und beleuchten die Kippfrau von hinten. Die dunkle Gestalt auf dem kippenden Thonetstuhl glüht von innen heraus wie Kohlen in einem herunter gebrannten Kaminfeuer. Die kaum noch zuckenden Flammen um sie herum halten sie in Schwebe und verhindern ihren Fall in die Glut. Ich beobachte einen seltsamen Effekt: Die Gestalt fügt sich in ihre Umgebung und ragt zugleich meilenweit daraus hervor. Sie benimmt sich ganz natürlich und scheint doch zu einer völlig anderen Art und Ordnung zu gehören. Gegen die Sonne kann ich sie kaum erkennen, sie ist das schwarze Loch des Universums, das sie mit ihren weit ausgebreiteten Armen vermisst, als würde sie wie ein Kind zeigen wollen: Seht her, sooo groß ist es!

Meine Kippfrau hat ihren eigenen Maßstab für die Vermessung von schwarzen Löchern; aber es sind nicht Meter und Meilen, nicht Kilos und Gallonen, sondern es ist der Maßstab der Kunst.

Auf einem Stuhl schaukelnde Frau
Öl/Segeltuch
150x110 cm
2001

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