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Ironie der Unterwerfung

Leander Kaiser, Wien, November 2002
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Die Europäer spotten über die Religiosität in der amerikanischen Politik, eine Religiosität, über die sie sich erhaben fühlen kraft des Agnostizismus, der sich in der Begründung institutioneller Autorität bei uns so ziemlich durchgesetzt hat. Einer der Begründer dieses Agnostizismus oder - mit Georg Lukàcs zu sprechen - dieser negativen Apologetik der bestehenden Verhältnisse - ist Friedrich Nietzsche.

Nun wird aber auch klar, was die notorische Formel 'Wille zur Macht' eigentlich besagt: Weil Schein die einzige Realität, soll die Benennung 'Wille zur Macht' den Widerstand gegen jeden Versuch anzeigen, diese Realität aus Schein wieder in eine 'wahre Welt' zu verwandeln. Unsere Welt aus Schein ist eben keine scheinbare Welt, sondern real. Und das Fabelwerden der wahren Welt am Ende jener Geschichte des längsten Irrtums (der Suche nach 'Wahrheit', L.K.) schafft auch die scheinbare ab; es eröffnet einen Spielraum für Menschen, die ihre Welt dichten können, weil sie sich, befreit vom Vorurteil der Wahrheit, wieder ihrer ästhetischen Kräfte erinnert haben. (Norbert Bolz: Eine kurze Geschichte des Scheins. München 1991. S. 73)

Was hier interessiert, ist die Gründung gesellschaftlicher Institutionen nicht auf das Heilige, den mythischen Ursprung, Gott, die absolute Wahrheit oder aber auf allgemeine Prinzipien, Menschen-, Bürger- und Freiheitsrechte, sondern auf den Schein: als eine nicht hinterfragbare Positivität, die ironisch affirmiert wird im ästhetischen Bewußtsein der Freiheit von der Lüge, wahr zu sein (Adorno). Gegen die positive Macht des 'Scheins', gegen den 'Willen zur Macht' ist kein Rekurs auf die Wahrheit möglich. DIE GEFORDERTE IRONIE IST UNTERWERFUNG, Unterwerfung unter den instituierten Schein mit der Gratifikation, an gesellschaftlicher Scheinproduktion institutionell legitimiert teilnehmen zu können.

Der 'Wille zur Macht' figuriert für das gesellschaftlich Unbewußte, das das Funktionieren der Institutionen gewährleistet, und das wir implizit akzeptieren, indem wir den Schein als Realität annehmen: d.h. Nietzsche lehrt die 'reine Unterwerfung' unter eine Macht, die weder vernunftgemäß, sittlich, heilig, noch gottgegeben ist. Es versteht sich, daß auf einem solchen Standpunkt nur Verschwörungstheorien über das Gewordensein des gesellschaftlichen Seins und Scheins ausgegeben und geglaubt werden können.

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